Die Befreiung durch die AHV von IV und Sozialhilfe

(Last Updated On: März 28, 2012)

An der gestrigen Hauptversammlung der SP Köniz hat der Leiter des Heilsarmeeheimes im Buchsegut unter anderem geschildert, dass die Pensionierung eines Heimbewohners jeweils gefeiert wird, da der oder die Pensionierte danach nicht mehr IV-Bezüger ist, sondern AHV-Rentner wird, und sich sein sozialer Status damit dem Durchschnittsbürger angleicht.  Ganz ähnlich ergeht es offensichtlich auch Sozialhilfebezügern, wie der berührende Text von Oswald Sigg zeigt, den ich heute im Newsletter vom 26. März 2012 vom Mediendienst Hälfte  (Unabhängiger Mediendienstzur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit) gelesen habe.

Vom Sozialdienst befreit durch die AHV

Oswald Sigg

Gemäss bernischem Sozialhilfegesetz hat jede bedürftige Person Anspruch auf Hilfe. Dieses Recht schützt den Gesuchsteller jedoch nicht davor, von der Verwaltung unter Aufhebung des Datenschutzes überprüft zu werden. Es ist dieses Ausgeliefertsein, das den Sozialhilfebezüger in seiner persönlichen Integrität verletzen kann.

 

Ruedi Tanner. Als gelernter Elektriker, Velomechaniker und langjähriger Assistent für verschiedene Eisenplastiker wie Bernhard Luginbühl oder Jean Tinguely, hatte er für die berühmten Künstler deren Werke für die Ausstellungen aufgebaut. Bei den grossen Objekten – etwa bei Tinguelys Monumental-Skulptur „Zyklop“, die er zu­sammen mit Niki de Saint-Phalle schuf – sorgte Tanner für die elektrischen Installationen. Er war der Mann im Hintergrund, der diesen Kunstwerken das Bewegte und Lebendige verlieh. Er hat aber auch jahrzehntelang als selbständiger Schlosser-Konstrukteur und technischer Künstler gearbeitet. So hat er für einen Freund eine Lebensuhr mit neun verschiedenen Uhrwerken fertig konstruiert, deren Zeiger während 99 Jahren nie dasselbe Bild abgeben. Wenn seine Freunde bei ihren Arbeiten nicht mehr weiter kamen, eilten sie zu ihm: „De Rüedu, de chas“, hiess es.

Respektlose Behandlung
Aber vor fünf Jahren erkrankte er so schwer, dass ihn zuerst die Blutreinigung (Dialyse) und dann die darauf folgende Nierentransplantation praktisch arbeitsunfähig machten. Seit drei Jahren lebt Ruedi Tanner mit einer Niere seiner Frau. Er muss noch immer 12 verschiedene Medikamente ein­nehmen und das sind 30 Tabletten pro Tag. Als er damals infolge Krankheit arbeitslos wurde und „beim Sozialdienst landete, weil mir einfach das Geld zum Leben fehlte“, habe man ihn dort respektlos behandelt. Fast „füdleblutt“ hätten sich seine Lebenspartnerin und er beim Sozial­dienst „abziehen“ müssen. Man habe ihnen misstraut, sie könnten noch irgendwo etwas Geld versteckt haben und trotzdem Hilfe beantragen. Beide haben diese Behandlung als entwürdigend empfunden. Wie wenn man „gottefroh“ sein müsste, überhaupt etwas zu be­kommen. Natürlich, sagt er: im Sozialdienst muss man halt das Gesetz anwenden und ver­antwortlich für die Verachtung den Hilfesuchenden gegenüber seien die weiter oben. Die Politiker.

Sinnvolle Arbeit
Heute arbeitet er als Mechaniker in der Velostation im Hauptbahnhof Bern. Das ist ein Betrieb der städtischen Sozialdirektion, wo Langzeitarbeitslose und ausge­steuerte Personen für Unterhaltsarbeiten eingesetzt werden und den Velofahrern nebst ei­nem Reparaturservice über 900 gedeckte und bewachte Abstellplätze angeboten werden. Ruedi Tanner ist froh über seinen 40%-Job, obschon er nur gerade 200 Franken monatlich erhält. Dafür kann er aber etwas Sinnvolles tun und ist von seinen Arbeitskollegen und Chefs geschätzt und respektiert.

Er geht bald in Frühpension und bekommt dann die AHV. Darauf freut er sich. Er wird nicht mehr vom Sozialdienst abhängig sein. Das geht einem an die Nieren, sage man nicht umsonst. „Und die Niere, wonig jetzt han, zu däre heb i Sorg.“

(Quelle: Oswald Sigg in Newsletter vom 26. März 2012 des Mediendienst Hälfte)

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