Ergänzungsleistungen für Familien sind ein wirksames Mittel gegen Familienarmut: In der Schweiz leben mindestens eine Viertelmillion Kinder in einer von Armut betroffenen Familie. Sie sind arm, weil sie zum Beispiel in einer kinderreichen Familie oder mit einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen.
Diese Armut hinterlässt Spuren im Lebenslauf eines Kindes. Armutsbetroffene Kinder haben öfter Probleme in der Schule, brechen häufiger eine Lehre ab und sind als Erwachsene selbst häufiger von Armut betroffen.
Die von Armut betroffenen Familienhaushalte gehören oft zu den sogenannten «Working Poor»: Sie sind arm, obwohl sie einer Arbeit nachgehen. Dabei sind besonders viele Working Poor im Gastgewerbe oder im Detailhandel zu finden. Aber auch ein ansehnlicher Teil der Bäuerinnen und Bauern im ländlichen Raum gehören zu den Working Poor.
Zögernde Politik
Dass Kinder- und Familienarmut in der reichen Schweiz überhaupt möglich ist, ist inakzeptabel: Die Schweiz könnte es sich als Gesellschaft leisten, keine Armut zu haben. Familienarmut als Problem und Ergänzungsleistungen für Familien (FamEL) als eine mögliche Lösung stehen denn auch seit mehr als zehn Jahren auf der politischen Agenda. Ergänzungsleistungen für Familien könnten dazu beitragen, die Familienarmut in der Schweiz zu lindern, analog den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV. Familienergänzungsleistungen können aber nicht nur die Armut in den Familien verringern, sondern auch die Gemeinden bei der Sozialhilfe entlasten.
Als Pioniermodell der Ergänzungsleistungen für Familien in der Schweiz wird das Tessiner Modell betrachtet. Bereits 1997 hat der Kanton Tessin die Kinderzulagen zu einer umfassenden Bedarfsleistung für Familien ausgebaut. Zwei Jahre später wurde ein ähnliches Projekt auf Bundesebene initiiert, welches aber bis heute nicht realisiert werden konnte, so dass in der Zwischenzeit verschiedene Kantone eigene Initiativen lanciert haben. Als erster Kanton nach dem Tessin hat Solothurn 2010 Familienergänzungsleistungen eingeführt – und der Kanton Waadt folgte 2011 nach.
Wichtiger Entscheid im Kanton Bern
Im Kanton Bern steht demnächst der Entscheid zu Familienergänzungsleistungen an. Den Anstoss dazu gab Grossrat Daniel Steiner-Brütsch (EVP, Langenthal), dessen Vorstoss «Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien als wirksames Mittel gegen Familienarmut» bereits im Januar 2009 vom Grossen Rat mit 81 Ja-Stimmen und 58 Nein-Stimmen überwiesen wurde.
Trotz dieses klaren parlamentarischen Auftrages, die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen für Familienergänzungsleistungen zu schaffen, weigert sich der Regierungsrat des Kantons Bern bis anhin, solche Grundlagen auszuarbeiten. Damit wird das Parlament, welches mehrmals den Willen bekundet hat, Ergänzungsleistungen für Familien einzuführen, nicht ernst genommen.
Infolgedessen hat EVP-Grossrat Daniel Steiner-Brütsch einen weiteren parlamentarischen Vorstoss in Form eines ausgearbeiteten Gesetzesvorschlages lanciert. Damit soll der Regierungsrat endlich zur Umsetzung des parlamentarischen Auftrages und zur Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien bewegt werden.
In der kommenden Septembersession wird der bernische Grosse Rat über den erwähnten, neuesten Vorstoss von EVP-Grossrat Daniel Steiner-Brütsch beraten. Es bleibt zu hoffen, dass das Parlament die Weichen richtig stellt. Denn: Was eine Familie zum Leben braucht, muss – wo nötig – mit Ergänzungsleistungen gedeckt werden. Sie sind ein Schlüsselinstrument für die Armutsbekämpfung und können überdies als Grundrecht der von Armut betroffenen Kinder angesehen werden.
(Quellenangabe: Dieser Artikel stammt aus dem Newsletter vom 29. Oktober 2012 des Mediendienstes Hälfte, www.haelfte.ch )