Heute abend war wieder einmal ein Besuch der Nouvelle Scène im Stadttheater Bern angesagt. Das Stück „Le Ciel est pour tous“ von Catherine Anne spielt in einer laizistischen Familie: der Vater hat moslemische Wurzeln, die Mutter katholische, die beiden Kinder im Teenageralter und die Schwester der Mutter sind überzeugte Atheisten. Der Tod des Großvaters mütterlicherseits und die Entscheidung ohne Absprache, ein religiöses Begräbnis zu veranstalten, lösen eine Reihe von Erschütterungen aus. Protest bei den einen, Verständnis bei den anderen und Ratlosigkeit allerseits. Gleichzeitig beginnt die Tochter ein Buch über die „Calas-Affaire“ zu schreiben und der Sohn religiös zu werden. Mit der Frage nach Gott konfrontiert, zerfleischt sich die Familie.
Mit ihrem Drama „Le Ciel est pour Tous“ (Der Himmel ist für alle) trifft Catherine Anne ins Schwarze. Sie fragt nach dem Sinn von Religion, nach ihrem Platz im Herzen des Einzelnen, der Familie, der Gesellschaft und arbeitet dabei den größer werdenden Zwiespalt zwischen dem Gelebten und dem Innenleben der Menschen und der affichierten Dogmen, zwischen Transzendenz und Freiheit, heraus. Catherine Anne ließ sich dabei direkt von Voltaires Traktat über die Toleranz aus Anlass des Todes von Jean Calas inspirieren. Das Stück konfrontiert uns mit Nachdruck mit der schwierigen Frage religiöser Toleranz in unserer demokratischen laizistischen Gesellschaft.
Die Inszenierung des von Catherine Anne geleiteten Théâtre de l’Est de Paris hat mir zwar gut gefallen, aber noch besser wäre das Stück vermutlich auf der Bühne in den Vidmarhallen herübergekommen. Für ein modernes Schauspiel hat es mir im Stadttheater einfach zu viel Plüsch.