Ein Mann flüchtet wegen Kriegswirren in die Schweiz. Eine junge Frau zieht nach Kriegsende zu ihm. Das Paar bekommt ein Kind. Die beiden haben Angst vor einer Ausweisung, falls sie Sozialhilfe beantragen.
Sutha Chandramohan (Pseudonym) ist vor fünf Monaten in die Schweiz gekommen. Sie empfindet das Klima hier als kalt, dunkel und meist neblig. „Jetzt ist zwar Sonne da“, sinniert sie. In ihrer tamilischen Heimat gibt es während der fünfmonatigen Regenzeit eine jährliche Minimal-Temperatur von 25 bis 28 Grad Celcius. Die tamilische Sprache beherrscht sie im Lesen und Schreiben. Nun lernt sie bei einer Landsfrau eifrig die schweizerische Standardsprache. Sie besucht einen Gruppenunterricht für tamilische Frauen. Abends schaut sie immer nur Tamil TV und sie besorgt sich DVDs aus ihrer Heimat.
Folgen des Bürgerkrieges
Sutha (32) ist verheiratet. In der Schweiz ist nun seit Kurzem ihr neues Zuhause. Ihr Ehemann ist schon 1991 infolge des Bürgerkrieges in seiner Heimat in die Schweiz geflüchtet. Nach seiner obligatorischen Schulzeit hatte er zuerst als Lastwagenchauffeur gearbeitet. Doch wegen des Krieges verlor er die Aufträge und damit auch seine Arbeit. Sutha hat in eine Familie eingeheiratet, die aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammt. Ihr Schwiegervater musste sich durch Plackerei in der Landwirtschaft ein kleines Einkommen erwirtschaften. Er pflanzte und erntete, nur von Hand und mit der Hacke, Tabak, Zwiebeln und Chili. Nach dem Krieg können die Märkte langsam wieder beginnen, regional zu funktionieren. Die Situation entspannt sich.
Am Rande geduldet
Nun ist Sutha in der Schweiz schwanger geworden. Doch die Zukunft ist für die junge Familie ungewiss. Das Paar lebt in einer lärmigen Zweizimmerwohnung. Diese befindet sich am Rand von landesüblichen Wohlstandsexistenzen, gleich neben den Gleisen in der Nähe eines Hauptbahnhofes. Wegen der Geburt ihres Kindes sucht sich das künftige Elternpaar eine grössere Wohnung. Diese sollte noch billiger als die jetzige sein, denn die junge Familie muss mit dem bestehenden, bereits heute äusserst knappen Familienbudget auskommen und Platz machen für die zusätzlichen Ausgaben des Kindes. Suthas Ehemann ist klassischer Alleinernährer der Familie.
Working poor mit B-Ausweis
Seit Jahren arbeitet er als Küchengehilfe in einem Restaurant. Dort wäscht er den Salat und nachher die Teller. Monatlich verdient er Fr. 3’500 brutto. Nach Abzug der Sozialleistungen und der Quellensteuer bleiben ihm noch rund Fr. 2’800 monatlich für den Unterhalt der Familie. Darin inbegriffen sind die Miete mit Nebenkosten, der Krankenkassenbeitrag, diverse Versicherungen (u.a. Hausrat), Abgaben (u.a.Kehrrichtgebühren) und Bedürfnisse des minimalen gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Kommunikation. Es bleiben somit etwas weniger als Fr. 1’000 für das Paar. Gewiss würde ein Anspruch auf Teilleistungen der Sozialhilfe für diese working-poor bestehen. Doch Sutha und ihr Mann wollen davon absehen. Sie fürchten, mit Ihrem Ausländer-Ausweis wegen eines Antrages auf Sozialhilfe aus der Schweiz ausgewiesen zu werden. Wie vielen anderen TamilInnen bleibt auch ihnen nach Ende des Bürgerkrieges im Asylland Schweiz nur ein langer Weg in Ausgrenzung und Isolation, mit wenig Chancen und ohne Hoffnung auf eine bessere berufliche Zukunft. Die Schweiz bleibt für sie ein verschlossenes Land.
Paul Ignaz Vogel
(Dieser berührende Artikel von Paul Ignaz Vogel stammt aus dem Newsletter Nr. 7, 26. Juli 2010 des Mediendienstes Hälfte, der mediale Weiterverwendung unter Quellenangabe ausdrücklich erwünscht, was ich hiermit gerne gemacht habe.)