„Was für eine Art Theater hätten Sie denn gern? – Als Carlo Gozzi im 18. Jahrhundert sein Märchenspiel schrieb, schlug der Disput über ästhetische Theaterfragen bei Kennern und Liebhabern ebenso hohe Wellen wie 1921 zu Prokofjews Zeiten oder heute, in Zeiten der regierenden Quote.“ Dies ist ein Zitat aus dem neuen Spielzeitheft des Stadttheaters Bern (S. 23) , aber mehr oder weniger dieselbe Frage hat Henri Huber, seines Zeichens Verwaltungsratspräsident des Stadttheaters, auch an der Delegiertenversammlung der SP Bern Mittelland gestellt hat, und auch Journalisten des Bund haben die Politiker bereits mehrmals auf dem Blog „KulturStattBern“ und in Zeitungsartikeln mehr oder weniger direkt aufgefordert Stellung zu beziehen.
Sowohl in den Leserbriefspalten wie auf dem Kulturblog ist es trotz den Schlagzeilen der letzten Tage ziemlich ruhig geblieben, was mich angesichts des eher gehobenen Alters des Publikums nicht erstaunt. Das Publikum stimmt mit den Füssen ab, nicht nur beim Applaus sondern vor allem in der Pause und an der Billetkasse. Da die Geschmäcker ziemlich bis sehr verschieden sind, ist es müssig darüber zu streiten, ob der Besucherrückgang beim Musiktheater mit mangelnder Qualität, mässigem Sitzkomfort, zu hohen Billetpreisen oder der Zusammensetzung des Spielprogramms erklärt werden soll. Vermutlich spielt alles eine Rolle und ich gehe davon aus, dass das Stadttheater auch schon Publikumsumfragen durchgeführt hat. Möglicherweise hat aber auch die demografische Entwicklung – das „Verschwinden“ des Bildungsbürgertums – einen grossen Einfluss. Zumindest scheint das Publikum sogar bei ausverkauften Vorstellungen vor allem aus älteren Semestern zu bestehen, dass ich mir sogar mit meinen 46 Jahren noch jung vorkomme.
Persönlich fand ich die Qualität der von mir besuchten Vorstellungen in der laufenden Saison sehr gut. Die Preise für Plätze mit guter Sicht und genügend Beinfreiheit finde ich allerdings hoch, obwohl man natürlich durchaus einen mehr als entsprechenden Gegenwert enthält. Die Häufigkeit der Theaterbesuche wird bei eingem gegebenen Haushaltseinkommen halt trotzdem eingeschränkt. Als Familienvater schätze es deshalb umso mehr die vom Stadttheater angebotene Kinderbetreuung bei einigen Sonntagsvorstellungen, da dies den Theaterbesuch natürlich wesentlich erleichtert.
Auch die Programmierung gefällt mir und ich freue mich schon auf die nächste Theatersaison. Ich finde es richtig, dass nicht nur auf sichere Werte gesetzt wird, sondern auch eine Bühne für neue Werke von zeitgenössischen Autoren geboten wird. Die Maximierung der Besucherzahlen soll nicht im Vordergrund stehen, sondern es sollen auch Risiken eingegangen werden dürfen. Wichtig ist auch, dass das Angebot der „Nouvelle Scène“ beibehalten wird.
Das renovationsbedürftige Haupthaus am Kornhausplatz ist ein Problem. Vermutlich kann der Komfort und die Anzahl Plätze mit guter Sicht bei einer Renovation nicht wesentlich erhöht werden. Ein neues Haus wäre deshalb wünschenswert, allerdings erscheinen mir die politischen und finanziellen Risiken für einen Neubau kurzfristig als zu gross. Im Sinne einer langfristigen Planung sollte aber schon jetzt begonnen werden, den Ersatz des heutigen Stadttheaters durch einen Neubau in 20 bis 30 Jahren zu prüfen. Bis dahin wären auch die sofort notwendigen Renovationsarbeiten in etwa abgeschrieben. Die neuen Bühnen Vidmar I und II haben sich meiner Meinung nach bewährt und sollten unbedingt weitergeführt werden.
Leider zieht es die Mehrheit im Grossen Rat vor, die Steuern zu senken, statt in die Kultur zu investieren. Die Leitung des Stadttheaters kommt deshalb nicht darum herum, die standortpolitischen Vorteile, welche ein reiches Kulturleben bietet, den Berner Politikern noch besser und mit Fakten aufzuzeigen, so wie es zum Beispiel am Mittwoch an der DV der SP Bern Mittelland geschehen ist. Dazu braucht es Leute mit kommunikativem Geschick, was man Herrn Adam wohl leider absprechen muss, und dazu gehört aber auch eine Kleinigkeit wie, dass der Geschäftsbericht des Stadttheaters von dessen Homepage heruntergeladen werden kann. Dies ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Trägerstruktur und die Finanzierung vereinfacht werden kann. Das Trägerschaftsmodell des Opernhauses Zürich scheint auch mir sehr erfolgsversprechend zu sein. Auf Bern umgemünzt würde dies wohl heissen, das der Kanton die Verantwortung für Stadttheater/BSO übernimmt und die Stadt Bern zusammen mit den Gemeinden für die übrigen Institutionen, welche gemäss der kantonalen Kulturstrategie von regionaler/überregionaler Bedeutung sind, und die Bibliotheken verantwortlich sind.
Fazit: Ich gehe gerne ins Theater und kann allen nur empfehlen, dies ebenfalls zu tun. Ich finde, das Stadttheater Bern bietet ein ausgezeichnetes Programm, gerade auch im Verhältnis zu den im Vergleich zu anderen Schweizer Städten bescheidenen finanziellen Mitteln, welches im Gemeinde und Kantone zur Verfügung stellen. Klar ist aber auch, dass die öffentliche Hand dem Stadttheater mehr Geld zur Verfügung stellen sollte und dass die Trägerstruktur weiter vereinfacht werden muss. Das Stadttheater Bern soll eine nationale Ausstrahlung haben und ein Nährboden für zahlreiche andere kulturelle Aktivitäten in der Region bieten.
Presseartikel: „Stadttheater ist am Ende seiner Lebensdauer“ (Der Bund)
Blogartikel zum Thema: „Hier und anderswo: Stadttheater, quo vadis? auf KulturStattBern vom 2.12.2010″