Wer (Wohlstand) hat, dem wird (Gesundheit) gegeben

(Last Updated On: Oktober 16, 2010)

«Wer hat, dem wird gegeben.» Der Volksmund beschreibt das Prinzip der sozialen Determinanten der Gesundheit treffend. Wer in den zentralen Aspekten der Lebens- und Arbeitsbedingungen bevorzugt ist, kann damit rechnen, länger und gesünder zu leben als andere.
Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Ungleichheit in Arbeits- und Lebensbedingungen und Gesundheit erklären? Gibt es eine Ursache-Wirkungs-Beziehung? Wenn ja, wo ist die Ursache, wo die Wirkung? In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass sozioökonomische Faktoren einen bestimmenden Einfluss haben auf Gesundheit und Lebenserwartung. «Armut macht krank» ist das Schlagwort dazu. Krankheit kann auch zum sozialen Abstieg führen, doch ist dieser Effekt von geringerer Bedeutung.

Je höher die soziale Stufe, desto besser die Gesundheit

So lässt sich das Wort «Determinante» erklären: Lebensbedingungen beeinflussen oder bestimmen (determinieren) Gesundheit. Trotz der Verwandtschaft der Begriffe «Determinante» und «Determinismus » ist dieser Einfluss nicht als Vorbestimmtheit allen Geschehens zu verstehen. Im Einzelfall lässt der Lebensweg immer wieder einen anderen Ausgang zu, als die Forschung am Kollektiv zeigt. In der Forschung findet sich indessen ein weiteres Ergebnis, das auf den ersten Blick erstaunen mag, nämlich ein sozialer Gradient: Mit jeder Stufe, die man weiter oben auf der sozialen Leiter steht, werden die Chancen auf ein langes und gesundes Leben besser. Bildung, berufliche Stellung und Einkommen sind die am häufigsten untersuchten Statusmerkmale. Die Gesundheit steht jedoch in Beziehung mit vielen weiteren Determinanten, mit materiellen, strukturellen, kulturellen und individuellen Faktoren.

Ungleiche Verteilung von Belastungen und Ressourcen

Ein gebräuchliches Erklärungsmodell für die Zusammenhänge zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit geht davon aus, dass soziale Ungleichheit zu Ungleichheit in Bezug auf gesundheitliche Belastungen und Ressourcen führt. Man kann sich bildlich vorstellen, dass sich alle je erlebten Belastungen und alle vorhandenen Ressourcen zu einer «Landschaft» in und um jeden Menschen verdichten.

Diese Landschaft beeinflusst den Menschen. Heute ist zusätzlich erwiesen, dass Belastungen zu unterschiedlichen Lebenszeiten einen unterschiedlichen Einfluss haben, wobei gewisse Zeitfenster der Entwicklung im Mutterleib und in der frühkindlichen Phase einen besonderen Stellenwert haben. Auch ist man sich bewusst geworden, dass Belastungen der Eltern auf die Kinder übertragen werden können. Je nach sozialem Hintergrund haben Kinder nicht nur in sozialer, sondern auch in gesundheitlicher Hinsicht ungleiche Startbedingungen.

Gemäss dem Modell kann die Gesundheit direkt durch Belastungen beeinträchtigt werden. Zum Beispiel kann eine Lungenkrankheit eintreten, wenn jemand an einer stark befahrenen Strasse wohnt und verschmutzter Luft ausgesetzt ist. Im Extremfall stirbt ein Mensch direkt an Hunger. Die Determinanten wirken sich jedoch in vielen Fällen indirekt über den Lebensstil aus. Verantwortlich für den gesundheitsrelevanten

Lebensstil ist dabei nicht allein das Individuum. Die Lebensverhältnisse mit sozialen, kulturellen und politischen Normen und Strukturen prägen den Lebensstil erheblich mit.

Ungleich hohe Schwellen zur Gesundheitsversorgung

Neben den gesundheitlichen Ressourcen und Belastungen wirken auch Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung auf den Gesundheitszustand. Je nach Sozialstatus ist die Versorgung – ob in vorbeugender, heilender oder rehabilitativer Absicht – ungleich. So kann es sein, dass eine Person mit niedrigem Sozialstatus eine höhere Schwelle überwinden muss, um Leistungen der gesundheitlichen Versorgung in Anspruch zu nehmen. Dies zum Beispiel aufgrund von Unwissenheit oder finanziellen Faktoren. Auch die Qualität der Kommunikation ist ungleich und kann im schlimmsten Fall zu grösseren Missverständnissen und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit führen.

Breites Forschungsspektrum zugunsten der Prävention

Das beschriebene Modell vereinfacht zwangsläufig. Selbstverständlich sind die Beziehungen zwischen den Einheiten nicht einseitig, sondern es bestehen überall, auch innerhalb der Felder, wechselseitige Einflüsse. Determinanten der Gesundheit sind in ihrer Bedeutung sehr eng mit den Angeboten zu Prävention und Gesundheitsförderung verbunden. In diesem Umfeld haben sich viele Forschungsansätze entwickelt, die jeweils bestimmte Aspekte beleuchten. Denken wir an den Begriff «Sense of Coherence», der der Frage nach den inneren Mustern der Gesunderhaltung nachgeht. Oder betrachten wir die Arbeitsbedingungen der Menschen, so finden wir den ebenfalls historischen Begriff der «Gratifikationskrisen », die entstehen, wenn die Belohnung nicht den Anstrengungen entspricht. Vielleicht interessiert uns eher die «Gesundheitskompetenz » (health literacy), die die «Mündigkeit» von Personen im Umgang mit Gesundheit hervorhebt. Die Aufzählung könnte weitergeführt werden. Jeder Ansatz hat seine Berechtigung und leistet einen wichtigen Beitrag zu einem umfassenden Verständnis der Einflussfaktoren rund um die Gesundheit. Die Leitfrage muss dabei sein, wie die Gesundheit einer Bevölkerung verbessert werden kann.

Wohlstandsschere als gesellschaftlicher «Fiebermesser»

Zum Schluss die provokative Frage, warum überhaupt die sozialen Bedingungen verändert werden sollen, damit Schlechtergestellte bessere Gesundheitschancen erhalten. Man könnte argumentieren, der Bevölkerung ginge es durchschnittlich auch besser, wenn die Bedingungen der Bessergestellten weiter verbessert würden. Doch diese Aussage ist falsch. Es ist inzwischen auch für die Schweiz nachgewiesen, dass, je ungleicher die Verteilung des Wohlstands, desto höher die Sterblichkeit der Wohnbevölkerung ist. Das heisst, anzustreben ist nicht ein durchschnittlich höherer, sondern ein möglichst ausgeglichener Wohlstand.

Von Dr. med. Monika Diebold, Leiterin Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan)
(Aus spectra 81, Publikation des Bundesamtes für Gesundheit BAG)
(Dieser Artikel von Frau Diebold stammt aus dem Newsletter vom 16. Oktober 2010 des Mediendienstes Hälfte, der mediale Weiterverwendung unter Quellenangabe ausdrücklich erwünscht, was ich hiermit gerne gemacht habe.)

1 Kommentar

  1. Massageliege

    Gesundheit und Sport sind wichtig, zudem auch vorbeugende Maßnahmen um die Gesundheit auch langfristig zu erhalten oder z.b. Rückenschmerzen zu lindern / heilen!

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